Verkehrsrecht
Rechtliche Aspekte des Gehwegparkens
Auf www.gehwege-frei.de > Rechtliches informieren wir Sie, wie das illegale und legalisierte Gehwegparken in der StVO und in den Straßenbau-Richtlinien geregelt ist.
Außerdem erläutern wir Ihnen, was Sie beim Anbringen von "Parke-nicht-auf-unseren-Wegen“-Aufklebern beachten müssen.
Bußgeldkatalog-Verordnung 2007-2012
Als 2007 eine drastische Bußgelderhöhung angekündigt wurde, ging ein Aufschrei durch die Autofahrer-Republik. In der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt blieb, dass die zu niedrigen Regelsätze für Verstöße gegenüber Fußgängern, Radfahrern und öffentlichen Verkehrsmitteln weiter gesenkt werden sollten. Das konnte verhindert werden, doch wegen eines Formfehlers wurde die Novellierung 2009 für ungültig erklärt. Erst im August 2012 stellte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Verbänden einen neuen Entwurf vor: Mit Ausnahme von zwei Anhebungen von Regelsätzen (Bußgeldern) ist das gesamte Bußgeld-System beibehalten worden. An diesen Vorgängen lässt sich ablesen, was hinter den Kulissen geschieht, wenn es um die Höhe von Geldbußen bei Fehlverhalten von Autofahrerinnen und Autofahren geht.
- Wortlaut des aktuell gültigen Bußgeldkatalogs
- Beurteilung des aktuellen Bußgeldkataloges: Ordnungswidrigkeiten werden immer kostengünstiger, aus mobilogisch! (4/12)
- Stellungnahme 2012 mit Vorschlagliste für Regelsätze für fußverkehrsrelevante Tatbestände zum Entwurf vom 1.08.2012
- Im Artikel „Regelverstöße im Straßenverkehr“ aus mobilogisch! (1/12) wird eine aktuelle Forschung durch die Unfallforschung der Versicherer vorgestellt, die deutlich herausstellt, dass die Sanktionshärte (z.B. die Höhe der Bußgelder) derzeit nicht mit dem realen Unfallgeschehen korrespondiert.
Die folgenden Hintergrundinformationen sind zwar vom Verfahren her nicht mehr aktuell, wohl aber durch die fachlichen Aussagen. Sie ergeben darüber hinaus einen Einblick in ein Verfahren, bei dem sich letztlich die Autolobby durchgesetzt hat und der FUSS e.V. „schlimmeres“ verhindern konnte, es wurden keine Bußgelder für Fehlverhalten gegenüber Fußgängern verringert:
- Hier finden Sie die Stellungnahme des FUSS e.V. an das Bundesverkehrsministerium vom 24.10.2007 und
- Der Artikel „Bußgelder sollen auch verringert werden“ aus mobilogisch! (4/07) bietet eine komprimierte Information über die Wünsche der Fußgängerlobby
- Der Artikel „Bußgelder sollen auch herabgesetzt werden, Teil 2“ aus mobilogisch! (1/08) Informationen über die Reaktionen des Bundesverkehrsministeriums und der Bundesländer.
10 Jahre StVO-Novelle und kein bisschen weiser!
Jubiläums-Novelle verdient keine Gratulationen
Am StVO-Novellierungsverfahren könnte jemand seine/ihre Doktorarbeit schreiben. Zur Frage-stellung, wie erfolgreich Lobbyarbeit der autoorientierten bzw. weniger oder gar nicht autoorientier-ten Verbände in Deutschland ist, könnten wir gerne unsere Ordner zur Verfügung stellen. Soll keiner sagen, dass dies ein langweiliges Unterfangen wäre, das Bundesverkehrsministerium (BMVBS) hat sich immer wieder neue Dinge einfallen lassen. Lediglich bei der Frage des Schutzes und der För-derung des Fußverkehrs ist es bisher wenig kreativ gewesen. Gesagt werden muss aber auch, dass der Bund-Länder-Fachausschuss – der ist ja zurzeit zahlenmäßig nicht regierungstreu – das letztlich alles absegnet. Wir stehen jetzt möglicherweise vor dem Finale eines jahrelangen StVO-Novellierungsverfahrens.
Verbände-„Einbeziehung“
Vielleicht erinnern sich noch einige mobilogisch-LeserInnen daran, dass FUSS e.V. ab dem 13. BUVKO in Leipzig 2001 darauf aufmerksam gemacht hatte, dass hinter der geplanten vollständigen Novellierung der Straßenverkehrs-Ordnung StVO und der dazugehörenden Verwaltungsvorschriften VwV unter dem scheinheiligen Motto „Weniger Verkehrszeichen - bessere Beschilderung“ (der ADAC nannte es zeitlich direkt davor „Schilderwald entrümpeln“) eine riesengroße Schweinerei in Richtung Abbau der Verkehrsberuhigung steckte. Der Text war damals bereits mit den Ländern abgestimmt und sollte im Schnellverfahren durchgezogen werden. Unser massiver Aufschrei führte dazu, dass sich ein kleines Widerstandsnetz mit den anderen Verkehrsverbänden bildete, wir vom Vorsitzenden des Bund-Länder-Fachausschusses geladen wurden, jeden Punkt unserer 50-seitigen Stellungnah-me durchgingen und … die ganze Angelegenheit langsam im Sande verlief.
Am 31.3.2008 bekamen wir dann unerwartet einen noch dickeren Stapel Papier mit der Bitte, dazu bis zum 11.4.2008 Stellung zu nehmen. Die dann umgesetzte StVO-Novelle 2009 (46. Verord-nung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften – sog. „Schilderwaldnovelle“) zeigte, dass wir durchaus an etlichen Stellen erfolgreich argumentiert hatten, aber viele unserer Bedenken und Anregungen nicht berücksichtigt wurden (vgl. mobilogisch! 4/09, S.34-39). Aber auch das Bun-desverkehrsministerium wurde nicht ganz froh, da die StVO „gegen das verfassungsrechtliche Zitier-gebot“ verstieß und bei der Überprüfung weitere Fehler entdeckt wurden. So traten zwar die Ver-waltungsvorschriften der StVO (VwV zu §§39 ff) in Kraft, nicht aber die StVO als Gesetzesgrundlage für die Verwaltungsvorschriften. Eine kuriose Situation (vgl. mobilogisch! 2/10, S.7+8).
Am 25. Mai 2011 traf dann der Entwurf „Neuerlass der Straßenverkehrs-Ordnung“ bei FUSS e.V. mit der Bitte um Stellungnahme bis spätestens 15. Juni ein. Für 164 eng bedruckte Seiten standen um die Pfingstfeiertage herum zehn Werktage zur Verfügung. In dieser Zeitspanne war eine vereinsin-terne Abstimmung nicht möglich, in einem Verfahren, dass wie ein Beschäftigungsprogramm für Verkehrsverbände wirkte. Was soll sich ändern und was wurde bisher nicht angepackt?
Reduzierung von Verkehrszeichen
Seit der Absichtserklärung der sogenannten Höcherl-Kommission1982 geht es um den „Abbau des Schilderwaldes“ und jetzt wird ganz ernsthaft vermittelt, dass man mit dieser Novelle dem Ziel näher kommt. Da das Ministerium nach eigenen Angaben keinen Überblick über die Anzahl der Verkehrszeichen in Deutschland hat, kann man den Bürger/innen natürlich viel erzählen.
Die Novelle ist in dieser hochgespielten Frage eine Mogelpackung: Entbehrliche Zeichen („Ufer“, „Brücke“, „Stau“, etc.) werden herausgenommen und als Zusatzzeichen wieder eingeführt. Neue Zei-chen werden eingeführt, z.B. Inline-Skater als einziges „Zusatzzeichen“, das - welch sprachlicher Un-sinn - auch „alleine“ hängen darf.
Einige wenige unerwünschte Zeichen werden gestrichen, wie z.B. die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen; während die Vielfalt von Zeichen zum Parken auf Gehwegen unberührt bleibt und der Abbau des Tempo-30-Schilderwaldes durch Einführung von 30 km/h als Höchstgeschwindigkeit in Städten mit geregelten Ausnahmen strikt abgelehnt wird. Dagegen werden Zeichen, die kaum einen massenhaften Einsatz hervorrufen würden wie die „Begegnungszone“ oder das Zeichen „Straßen-bahnhaltestelle“ mit dem fadenscheinigen Argument abgelehnt, man wolle schließlich den Einsatz von Verkehrszeichen verringern.
Steigerung der Attraktivität des Radverkehrs
Dass der Fahrradverkehr im Sinne der „Nationalen Radverkehrsstrategie“ durch die StVO-Novelle gefördert werden soll, ist nicht zu übersehen und auch durch eine eher wohlwollende kurze Stel-lungnahme durch den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V. (ADFC) dokumentiert. Das verwun-dert ein wenig, denn durch die StVO und die Verwaltungsvorschrift VwV können letztlich nach einer „sachgerechte(n) Abwägung im Einzelfall“ durch die zuständigen Behörden wieder Radweg-Zeichen auf in der Praxis kaum benutzbaren Radwegen auf Gehwegniveau aufgestellt werden.
Mit den „größeren Handlungsspielräumen“ können Behörden auch Zustände schaffen, die in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bundesweit zur Gründung von Fahrradinitiativen führten sowie 1997 zur StVO-Novelle, die die Benutzungspflicht von Radwegen einschränkte. Diese Entwicklung ist für uns nicht nachvollziehbar und stellt einen Rückschritt dar, zumal damit keine Erhö-hung der Verkehrssicherheit zu erwarten ist. Der Verkehrsclub Deutschland VCD und FUSS e.V. for-dern deshalb unvermindert die Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht.
Während der FUSS e.V. vorschlägt, das Radfahren von Kindern auf Radwegen auch ohne Be-gleitung Erwachsener und in Begleitung auch auf Fahrbahnen zu legalisieren und den allein fahren-den Kindern lediglich das Fahren auf Gehwegen zu erlauben, sollten nach Ansicht des VCD auch Rad fahrende erwachsene Begleitpersonen auf Gehwegen toleriert werden.
Das zu dichte Überholen von Radfahrer/innen durch Kraftfahrzeuge wird von vielen Radlern als ein hohes Risiko bei der Nutzung der Fahrbahn angesehen. Deshalb haben FUSS e.V. und der VCD den Vorschlag unterbreitet, dass beim Überholen von zu Fuß Gehenden und Rad Fahrenden der notwendige Sicherheitsabstand von mindestens 1,50 Metern durch die Pflicht zum Fahrstreifenwech-sel sicherzustellen ist. Darüber hinaus schlägt FUSS e.V. eindeutige Regelungen für das Abstellen von Fahrrädern in §12 „Halten und Parken“ und das bislang noch nicht in der StVO explizit formulierte Parkverbot für Kfz auf Gehwegen vor.
Nutzungszuordnung der Inline-Skater
Die Zuordnung von „Inline-Skates“ gehört erst seit 2008 zum Gesetzespaket und wurde bei die-ser Novelle sehr hoch gehängt und inkonsequent umgesetzt: In § 24 „Besondere Fortbewegungs-mittel“ wurden sie dem „Fußgängerverkehr“ und in § 31 dem „Sport und Spiel“ zugeordnet. Im Jahr 2000 hatte das Oberlandesgericht Oldenburg festgestellt, dass von einer Ungefährlichkeit des Inline-Skaten für Fußgänger nicht auszugehen ist (Az.9U71/99). Die Skater-Geschwindigkeit kann bis zu fünf Mal so hoch sein wie die der Fußgänger. Das ist so, als wenn in einer Tempo-30-Zone ein Kraftfahr-zeug mit 150 km/h fahren würde. Statt der Neueinführung eines Zusatzzeichens nur für Skater hätte man schilderlos Inline-Skaten in Straßenbereichen mit Tempo 30 oder weniger auf Fahrbahnen zu-lassen und dafür auch mal ein paar Worte über die notwendige Rücksichtnahme gegenüber Fuß-gängern formulieren können (vgl. mobilogisch! 2/08, S.11).
Geschwindigkeiten auf Sonderwegen
- Mit der geplanten Einführung einer Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h für den fahrenden Ver-kehr bei Zulassung durch Zusatzzeichen auf Gehwegen hat das BMVBS ein neues Ei ins Nest gelegt, welches die verwirrenden Geschwindigkeitsangaben zu komplettieren scheint. Wenn wir das richtig interpretieren, sind folgende Regelungen vorgesehen:
- Auf Radwegen (Zeichen 237) soll es bei Zulassung durch Zusatzzeichen für Pkw und Krafträder keine zulässige Höchstgeschwindigkeit geben, auf Gehwegen (Zeichen 239) soll aber bei Zulassung durch Zusatzzeichen für Pkw, Krafträder, Pedelecs, E-Bikes mit Versicherungskennzeichen und Fahrräder eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h eingeführt werden.
- Auf gemeinsamen Geh-und Radwegen (Zeichen 240) soll es für den Radverkehr und für schnelle Pedelecs keine Geschwindigkeitsangabe geben und bei Zulassung durch Zusatzzeichen einer „an-deren Verkehrsart“ des Fahrzeugverkehrs eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h.
- Auf dem Gehweg des getrennten Rad- und Gehweg (Zeichen 241) darf es theoretisch keinen Rad- und Kraftradverkehr geben und bei Zulassung durch Zusatzzeichen für Pkw eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h, dagegen ist auf dem Radweg des getrennten Rad- und Geh-weg (Zeichen 241) bei Zulassung durch Zusatzzeichen für Pkw und Krafträder keine zulässige Höchstgeschwindigkeit vorgesehen.
- Würde auf einem getrennten Rad- und Gehweg (Zeichen 241) durch Zusatzzeichen Pkw´s zuge-lassen und würden diese beide Wegseiten benutzen (was der Regelfall sein dürfte), so müssen die-se Fahrzeuge auf der einen Seite die Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h einhalten und auf der an-deren nicht.
- In Fußgängerzonen (Zeichen 242.1 / 242.2) soll es bei Zulassung durch Zusatzzeichen für Pkw, Krafträder und/oder Fahrräder wiederum eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h geben, während es in verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325.1 / 325.2) bei der Schrittgeschwindigkeit für alle Fahrzeuge bleiben soll. Zukünftig soll also in reinen Fußgängerzonen schneller gefahren werden dürfen als in Verkehrsberuhigten Bereichen mit Mischverkehr.
- Eine modifizierte Stellungnahme des FUSS e.V. an das Bundesverkehrsministerium finden Sie unter www.geh-recht.info > Verkehrsrecht > StVO-Novelle 2009 / 2011.
- Die Stellungnahmen des VCD und die des ADFC waren bei Redaktionsschluss noch nicht ins Internet einge-stellt.
- Der „Entwurf einer Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom …2011“ steht im Internet nicht zur Verfügung, es könnte ja eine öffentliche Diskussion über eine geplante Gesetzesänderung geben. Demokratie ist, wenn man trotzdem dran bleibt.
Bemerkenswert ist, dass der ADFC vorher gefragt wurde, ob er der Meinung sei, dass Radfahrer auf Gehwegen 15 km/h fahren können sollten, nicht aber der Verband der betroffenen Fußgänger. Während der FUSS e.V. über die Zulässigkeit von 15 km/h auf Gehwegen erschrocken ist, interpre-tiert der ADFC die Aussage zum Gemeinsamen Geh- und Radweg (Zeichen 240) in Ziffer 3 „Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung …für eine andere Verkehrsart erlaubt….gilt eine Höchstgeschwindig-keit von 15 km/h“ ebenfalls erschrocken, dass auch die Radfahrer dort „nur“ maximal 15 km/h fahren dürfen: „Mit diesem Ausbremsen des Radverkehrs kann sich der ADFC nicht einverstanden erklären.“ So treibt man Keile zwischen die Verkehrsverbände.
FUSS e.V. fordert zum Schutze des Radverkehrs auf Radwegen (Zeichen 237) und auf Radwegen von getrennten Geh- und Radwegen (Zeichen 241) bei Zulassung des Kraftverkehrs für letztere eine Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h. Für die Benutzung von Flächen, die vorrangig für den Fußver-kehr vorgesehen sind oder die gemeinsam vom Fuß- und Radverkehr genutzt werden, ist eine zu-lässige Höchstgeschwindigkeit jedweden Verkehrs von 15 km/h dagegen eindeutig zu hoch. Da Fußgänger nicht zu einer besonderen Vorsicht verpflichtet sind, wenn sie z.B. aus einem Haus her-austreten, die Gehwegseite wechseln, plötzlich stehen bleiben oder in einer Fußgängerzone quer über die vorhandene Fläche gehen, muss auch weiterhin eine deutlich niedrigere Geschwindigkeit des Fahrzeugverkehrs eingehalten werden.
Dies gilt selbstverständlich auch für den Radverkehr. Eine gesetzliche Geschwindigkeits-Festlegung, die ohne Tachopflicht von den entsprechenden Verkehrsteilnehmern nicht selbst zu kon-trollieren ist, sollte grundsätzlich nicht in die StVO aufgenommen werden, da Übertretungen nicht zu sanktionieren sind. Eine zulässige Höchstgeschwindigkeit für den Radverkehr ist eine abstrakte Festlegung. Deshalb kann eine solche feste Grenzziehung, möglicherweise noch mit einem in der Rechtsprechung zu formulierenden Überschreitungssatz, nicht vorgenommen werden.
Dagegen ist die „Schrittgeschwindigkeit“ in der Praxis von allen anderen Verkehrsteilnehmern ziemlich eindeutig einzuordnen, da man sieht, wie Fußgänger gehen. Die Begründung, dass Rad Fahrende bei 7 km/h schwanken würden, mag für unsichere Rad Fahrende zutreffen. Das trifft dann allerdings in Verkehrsberuhigten Bereichen genau so zu wie in Fußgängerzonen.
Weitere Veränderungen
Die Liste der Änderungswünsche von FUSS e.V. z.B. zur mindestens Gleichstellung des Fußver-kehrs mit dem Radverkehr bzw. des Umweltverbundes mit dem motorisierten Individualverkehr ist lang. Die Einführung der Anlagen 1 bis 4 zur StVO mit einer gesonderten Übersicht der Verkehrszei-chen und den dazu gehörenden Geboten und Verboten ist immer dann lückenhaft, wenn man den Verkehrsteilnehmern des motorisierten Individualverkehrs (MiV) das Verhalten gegenüber den Fuß-gängern darstellen müsste.
Die Krönung sind dabei die Zeichen 293 und 350 „Fußgängerüberweg“, zu denen es überhaupt keine diesbezüglichen Angaben gibt. Unangetastet bleiben alle bisherigen Einschränkungen des Fußverkehrs durch parkende Fahrzeuge und der eindeutige Zusatz „Fußverkehrsvorrang“ wird auch in der neuen StVO nicht auftauchen. Die weitere Einschränkung der Einsatzbedingungen von Ver-kehrsberuhigten Bereichen „nur…Straßen oder Bereiche mit sehr geringem Verkehr“ und der Weg-fall der Regelung, dass Teilflächen von der Befahrbarkeit durch Fahrzeuge ausgenommen werden können, wurde bereits mit der Verwaltungsvorschrift 2009 eingeführt. Für die Rücknahme dieser Re-gelung und die Einführung der Begegnungszone sollte man sich deshalb zukünftig noch intensiver einsetzen.
Fazit
Es ist überaus bedauerlich, dass die Erhöhung der Verkehrssicherheit auch in dieser grundle-genden Novellierung nicht als Leitthema enthalten ist. Die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland, die European Road Safety Charter – Europäische Charta für die Verkehrssicherheit bzw. der Global Plan for the Decade of Ac-tion for Road Safety 2011-2020 der Weltgesundheitsorganisation WHO waren offensichtlich nicht Grundlagen für die geplanten StVO-Veränderungen.
Es ist unverhältnismäßig und hinsichtlich des Modal-Split in den Städten unangemessen, den Inline-Skatern eine derartige Aufmerksamkeit zu widmen; den aber deutlich stärkeren Fußverkehr oder gar seine Förderung weitgehend außer acht zu lassen. Durch diese Novellierung wird das Un-fallrisiko dieser stark betroffenen Verkehrsteilnehmergruppe noch weiter erhöht.
Darüber hinaus ist es bedauerlich, dass der im Jahr 2002 durch eine Befragung des BMVBS vorgestellte Ansatz, die StVO benutzerfreundlicher zu gestalten, nicht weiterentwickelt wurde. Der von den Verkehrsinitiativen seit vielen Jahren vorgeschlagene Weg, von einer Straßenverkehrs-Ordnung zu einer Straßen-Nutzer-Ordnung (StNO) zu kommen, wurde durch die in der Schweiz der-zeit in Abstimmung befindliche „Verordnung über die Strassenbenützung (StBV)“ vom Mai 2011 auf-gegriffen, nicht aber in Deutschland.
In Kürze
Offen ist noch, ob diese „unendliche Geschichte“ zur Novellierung der StVO im Herbst dieses Jahres beendet wird oder noch weitere Runden gedreht werden. Jede Runde hatte bisher seine ei-genen Überraschungen. Lobbyarbeit verhinderte weitergehende Verschlechterungen der Bedingun-gen des Fußverkehrs, aber im Detail sind sich selbst die wenigen Verkehrsverbände für den Um-weltverbund oft nicht einig. Sie werden geschickt, insbesondere in Fragen des Fuß- und Radverkehrs gegeneinander ausgespielt. Das Verfahren hat aber gezeigt, dass wir einen langen Atem haben, den wir auch weiterhin brauchen werden.
Quellen:
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2011, erschienen.
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Neue Mobilitätshilfenverordnung 2009: Reaktionen des Bundesverkehrsministeriums und der Bundesländer
Segways: Gesetzesänderung rollt auf uns zu
Wir hatten nach der Berichterstattung über die drohende Zulassung von Motorfahrzeugen auf Gehwegen im letzten Heft keine zweite Folge geplant. Doch die mobilogisch 4/07 war noch nicht gedruckt, da flatterte uns die Androhung einer Unterlassungsklage ins Haus. Deren Verhinderung kostete uns knapp 1.400,- Euro und zeigte, wie „beinhart“ die Firma Segway bei kritischen Anmerkungen über ihre „Stehfahrzeuge“ vorgehen kann. Während Minister Tiefensee am 8. November FUSS e.V. mitteilte, dass er nicht beabsichtige, eine Rechtsverordnung zur Nutzung der Segways im öffentlichen Raum auf den Weg zu bringen, beschloss der Bundesrat schon am 20. Dezember, dass die Länder genau dies vom Bundesminister erwarten.
FUSS e.V. hat im Oktober und noch einmal im November 2007 alle Verkehrsminister der Länder aufgefordert: „Sichern Sie für das Zu-Fuß-Gehen Routen und Flächen, auf denen sich Menschen möglichst gefahrfrei und unbehindert fortbewegen können. Wenn Sie mit den Segways Kraftfahrzeuge auf Gehverkehrsflächen zulassen, können Fußgänger behindert, gefährdet oder sogar verletzt werden. Eine Zulassung würde darüber hinaus Hemmungen bei Radfahrern und Parkplatz suchenden Autofahrern noch weiter heruntersetzen, Fußgängerflächen ordnungswidrig mitzubenutzen. Wir appellieren deshalb noch einmal an Sie, Segways und vergleichbare Motor-Roller bzw. Scooter nur dort zuzulassen, wo bereits ähnliche Motorfahrzeuge, wie z.B. Mofas zugelassen sind.
Wir bestreiten nicht den positiven Umwelt- und Klimaaspekt von leisen Elektrofahrzeugen gegenüber dem Pkw. Zur Erschließung dieser Effekte müssten Sie konsequenterweise eine höhere Geschwindigkeit und damit das Fahren auf Motorverkehrsflächen zulassen, um ein attraktives Angebot zum Umsteigen zu schaffen. Mit z.B. 6 km/h treten Motor-Roller wahrscheinlich nicht einmal für Kurzstrecken mit dem Pkw in Konkurrenz. Mit einer solchen Geschwindigkeit sollte der Mensch allein schon aus Gesundheitsgründen zu Fuß unterwegs sein.“
Mit dem Segway von Land zu Land
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen erachteten es nicht als notwendig, zu antworten. Rheinland-Pfalz prüfte und Sachsen-Anhalt erdreistete sich am 5. Dezember mitzuteilen: „Einzelheiten zu Regelungen einer etwaigen Segway-Nutzung auf öffentlichen Straßen werden dort (im Bundesrat)...derzeit nicht diskutiert.“ Dort aber wurde diskutiert und seit dem 23. November lag ein Entschließungsantrag Hamburgs und des Saarlandes vor. Die anderen Bundesländer haben sich mit Schreiben an den FUSS e.V. eindeutig positioniert. Es gibt eine erstaunliche Vielfalt an Standpunkten und eine offensichtliche Einigkeit darin, dass „noch ein erheblicher Diskussionsbedarf besteht und nur eine bundeseinheitliche Lösung durch das zuständige Bundesministerium sinnvoll ist.“ (aus dem Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg).
Fünf sind eher vorsichtig
Das Bayerische Staatsministerium des Innern teilte mit, dass bereits im Juli 2007 eine restriktive Regelung erfolgte und Segways mit den Mofas gleichgestellt wurden. „Aus wohlverstandener Sorge um das Wohl insbesondere von älteren Fußgängern und kleiner Kinder ist zudem die Benutzung von Fußgängerverkehrsflächen durch Segway in unserer Regelung bewusst ausgeschlossen worden.“
Auch in Baden-Württemberg hält man die vorgebrachten „Risiken und Nutzungskriterien...auf öffentlichen Fußgänger-Verkehrsflächen... für wichtig.“ Bis zu einer bundeseinheitlichen Regelung will man die „restriktive Vorgehensweise beibehalten“ mit „bis zu 6 km/h bauartbedingter Höchstgeschwindigkeit als Mobilitätshilfe für nachweislich gehbehinderte Personen...“ („Ersatz-Krankenfahrstuhl“).
In Berlin hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Ausnahme einer touristischen „Stadtführung auf einer festgelegten Wegstrecke“ (max 10 Segways) bisher weitere Zulassungen abgelehnt und mitgeteilt, dass „die Sicherheit der Fußgänger als schwächste Gruppe aller am Verkehr Beteiligten bei allen Betrachtungen oberste Priorität genießt.“
In Hessen sind Segways bereits zugelassen, allerdings nicht in Fußgängerzonen und auf Gehwegen nur dann, wenn es sich um gemeinsame Geh- und Radwege handelt. Dagegen dürfen Segways auf innerörtlichen Fahrbahnen, Fahrradstraßen, Radwegen und in Tempo-30-Zonen gefahren werden.
Eher vage äußerte sich der Freistaat Thüringen, dass er die Nutzung von Gehflächen für denkbar hält „(z.B. Stadtführung)“.
Sechs sind sich recht sicher
Die Befürworter der Zulassung von Segways auf Fußgängerflächen beziehen sich auf die in der mobilogisch! 4/07 dargestellten Studie und folgern daraus, dass „die bisherigen Erfahrungen keine negativen Auswirkungen gezeigt haben.“, so z.B. der Minister für Infrastruktur und Raumordnung Brandenburg. Er hat „keine Bedenken gegen die Zulassung dieses innovativen Verkehrsmittels, zumal es umweltfreundlich ist und gehbehinderten Verkehrsteilnehmern die Teilnahme am Straßenverkehr erleichtert.“
In Hamburg wurden darüber hinaus durch Ausnahmegenehmigungen „eigene praktische Erfahrungen im Alltag gesammelt“ und aufgrund dieser spricht sich die Behörde für Inneres nicht nur für eine generelle Zulassung auf Fußgängerflächen aus, sondern für sie sind Segways Fußgänger: Segways führen nicht zu „Konflikten mit anderen Fußgängern.“
In Nordrhein Westfalen werden Ausnahmegenehmigungen erteilt, nach denen „Fußgängerverkehrsflächen nur dann benutzt werden (dür-fen), wenn diese durch Zeichen 240 mit dem Radweg verbunden sind, oder keine Radwege vorhanden sind.“ Da bekanntlich zahlreiche Straßen keine Radwege haben, bedeutet dies eine Freigabe der Gehwege. Das Saarland erteilt ebenfalls Sondergenehmigungen unter der Bedingung, „dass der Fahrer in Bedienung und Steuerung eingehend geschult wurde, Fußgänger dürfen weder gefährdet noch behindert werden; wenn nötig muss der Segway-Fahrer warten.“ Damit wurde sozusagen die Schutzregel für Fußgänger auf Fahrbahnen (StVO §1(2) auf Gehwege übertragen, was ja auch logisch ist, wenn man Gehwege zu Fahrbahnen macht.
In Schleswig-Holstein wurden Segways seit Anfang Dezember 2007 eigentlich auf allen Verkehrsflächen zugelassen, Ausnahme: außerörtliche Fahrbahnen, Kraftfahrstraßen, Autobahnen (schade eigentlich).
Der Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa der Freien Hansestadt Bremen reagierte als einziger bundesdeutscher Minister der Grünen besonders erfreut: „keine Abgase, kein Lärm, geringer Flächenverbrauch“. Woraus er umgehend folgerte: „Ich... stehe daher auch einer Nutzung auf Fußgängerverkehrsflächen positiv gegenüber.“ Er beantwortete die vom FUSS e.V. angeschnittene Fragestellung mit dem „geringen Konfliktpotenzial.., das unter dem von Fahrrädern oder Inlineskatern anzusiedeln ist“, ohne anzugeben, wie er darauf käme. Er räumte ein, dass sich die Studie auf eine knappe Versuchsdauer von ca. drei Monaten bezieht „und die Anzahl der eingesetzten Segway (ca. 10) so gering war, dass ein wissenschaftlichen Maßstäben genügender Versuchsablauf zumindest in Frage gestellt werden könnte.“ Und jetzt kommt etwas, was zum Nach- und Weiterdenken Anlass geben sollte: „Ursprüngliche Überlegungen der Bundesanstalt für Straßenwesen, ein Forschungsvorhaben mit einer Dauer von 18 Monaten durchzuführen, hätte Kosten in Höhe von ca. 100.000 Euro ausgelöst und wären von der Firma Segway nicht mitgetragen worden.“
Fazit
Man kann zur Zeit von einer Durchsetzung nach dem Chaos-Prinzip unterschiedlichster und teilweise kurioser Länder-Regelungen ausgehen. Abzusehen ist nicht, ob es dabei bleiben wird, sich auf eine zumindest unzureichende Studie zu berufen. Erkennbar ist, dass mit einer möglichen Zulassung von Motorfahrzeugen auf Gehwegen auch eine Veränderung des Charakters der Gehflächen einher gehen wird. Die meisten Bundesländer stehen „technischen Neuerungen und innovativen Ideen grundsätzlich offen gegenüber“ (Rheinland Pfalz), wenn sie sich nur nicht auf den Autoverkehrsflächen abspielen.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2008, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.
Neue Mobilitätshilfenverordnung 2009: Verkehrsmittel Segway aus der Sicht des Fußverkehrs
Segways: Wenn Füße zu Rollen werden
Motorfahrzeuge haben mit Ausnahme von Rollstühlen mit Elektromotor und Fahrzeugen des Winterdienstes auf Gehwegen nichts zu suchen. Das soll nun anders werden, wenn es nach dem Willen der Firma Segway geht, die eine weltweite Werbestrategie führt, damit die Motorfahrzeuge ganz generell auf Fußgängerflächen zugelassen werden. Einige europäische Staaten haben bereits per Ministererlass verfügt, dass Segways „keine Fahrzeuge“ sind. Andere befinden sich gerade im Entscheidungsprozess, was für Deutschland noch für das Jahr 2007 angekündigt wurde.
Segways sind einachsige Fahrzeuge mit einem Elektromotor und zwei seitlichen Reifen. Die Benutzer/innen stehen etwa 25 cm über dem Straßenniveau und halten sich an einer Lenkstange fest. Das Fahrzeug wiegt etwa 50 Kilogramm und hat eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h, kann aber bis zu 26 km/h fahren (1). Momentan sind die Nichtzulassung im Straßenverkehr und der Preis von ca. 5.000 Dollar Barrieren für eine Eroberung der Gehwege. Die Firma Segway setzt auf gefügige Gesetze und darauf aufbauend auf Massenproduktion.
Eine faszinierende Technologie
Das Segway wird zwar in der Werbung als „weltweit erstes selbstbalancierendes Fortbewegungsmittel für Menschen“ gepriesen, ist es aber genauso wenig wie ein Automobil von selbst mobil ist. Der Mensch muss balancieren: Er fährt schneller, je weiter er sich nach vorne beugt, wenn er sich nach rechts kippt nach rechts und wenn er sich nach hinten lehnt, wird gebremst. Vergleichbar mit seinem zweiachsigen Verwandten scheinen die Segways ihre Benutzerinnen und Benutzer offensichtlich in einen Rauschzustand zu versetzen.
So z.B. auch den taz-Autor Hannes Koch (15.5.2007): „Sie sind der Star des Trottoirs. Leicht erhöht schweben sie dahin - eine Attraktion“. Dabei kommt er gar nicht auf die Idee, welche Auswirkungen Segways wohl für Kinder, Senioren, Behinderte und ganz allgemein auf Fußgänger haben könnten. Zeitgeistgedanken lassen häufig keinen Raum für soziale Aspekte.
Das reine Vergnügen
Vorgerechnet wird der geringe CO2-Ausstoß: Segways geben ca. 14 Gramm pro Kilometer des klimafeindlichen Gases in die Luft (Angabe der Firma), das entspricht etwa 1/10 des Ausstoßes eines durchschnittlichen Pkw´s. Wen wundert das, handelt es sich doch um den kleinsten auf dem Markt befindlichen Personenkraftwagen, mit dem kaum zusätzliches Gepäck befördert werden kann. „Der Segway ist... weder ökologisch noch energieeffizient, weil mit einem solchen im allgemeinen Wege zurückgelegt werden, die sonst zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt würden. Er wird kaum Autofahrten ersetzen...“ (2). und ist als Fahrzeug für die üblichen Fahrtzwecke mit Ausnahme des Freizeitverkehrs kaum geeignet. Wenn Segways auf Gehwegen fahren, wird dieses zusätzlich das Klima belastende Vergnügen einzelner dazu führen, dass die Gehwege noch unattraktiver und gefährlicher für Fußgänger werden und diese auf andere Verkehrsmittel und auch aufs Auto umsteigen.
Wirklich Bein-drückend
Beeindruckend ist die Flexibilität der Durchsetzungsstrategie der Firma Segway, die das Fahr-zeug in Deutschland gerne als eine „Mobilitätshilfe“ darstellt, darauf abzielend, die Gesetzgeber könnten es als eine Art „stehender Rollstuhl“ auf Gehwegen zulassen. Das kommt recht dreist daher, z.B.: „Testen Sie den Segway, ein Verkehrsmittel der Zukunft!? Erfahren Sie auf einem Parcours, welche Schwierigkeiten Blinde und Sehbehinderte bei der Mobilität im Straßenraum bewältigen müssen. Sehen Sie, welche neuen Möglichkeiten barrierearme Infrastruktur bieten kann“ (3). Abgesehen davon, dass die Segways auf Gehwegen eine enorme Gefahr für sehr viele Mobilitätsbehinderte und vor allem auf für Sehbehinderte darstellen würden, ist das viel zu schwere Fahrzeug für die meisten Behinderten kaum eine Hilfe.
Die richtige Bedienung setzt eine volle Beweglichkeit und vor allem ein sehr gutes Gleichgewichtsgefühl voraus. Darüber hinaus können die allermeisten Rollstuhlfahrer eben gar nicht stehen und eines der Probleme der Segways dürfte es sein, dass selbst bei gesunden Menschen „Taubheitsgefühle und leichte Schmerzen in Füßen und Beinen auf(traten), bedingt durch das lange, bewegungslose Stehen“ (1). Es ist schon kurios, dass Segways gerade bei sportlichen und gesundheitsbewussten Menschen eine derartige Begeisterung hervorrufen, wo sie doch die Inaktivität und damit auch die Fettleibigkeit fördern.
Ein fahrendes Nicht-Fahrzeug
In den USA „gelang es der Firma Segways durch massives Lobbyieren..., in 33 Bundesstaaten eine Gesetzesänderung zu erwirken, die dem Gefährt das Befahren von Bürgersteigen erlaubt - prinzipiell“. Es wurde zum „Nicht-Fahrzeug“ erklärt. Die Entscheidung vor Ort aber treffen dort die Bürgermeister. Sehr bald folgten Städte San Francisco, wo die Benutzung wegen der Unfallgefahr verboten wurde. „Auf den Bürgersteigen New Yorks ist nicht genug Platz für Fußgänger, geschweige denn Segways“ (4).
Zur Zeit wird Europa intensiv unter Handlungsdruck gesetzt. In Italien, Ungarn, Frankreich und Spanien (Schrittgeschwindigkeit), in Tschechien (max 5 km/h), in Portugal und Griechenland (keine Tempobegrenzung) sind die Fahrzeuge bereits unter Zugrundelegung der für Fußgänger geltenden Regelungen auf Fußgängerflächen zugelassen. In der Regel wurden sie mit einem Ministerialerlass wie in den USA als „keine Fahrzeuge“ deklariert. In Österreich gibt es nur eine Zulassung auf Radwegen (5). Die niederländische Polizei hat dagegen seit dem 1.1.2007 den Gebrauch von Segways auf Straßen, Geh- und Radwegen generell verboten. Da der Segway ein Kraftfahrzeug ist, braucht er nach dem niederländischen Gesetz ein ordnungsgemäßes Bremssystem (6). „Wichtige Märkte wie Großbritannien, Schweiz und Belgien warten die Entscheidung aus Deutschland ab“ (7).
Keine Gefahr für die Bevölkerung
Segways sind Kraftfahrzeuge, für die die Fahrbahnbenutzungspflicht gilt. Bei der derzeitigen Rechtslage in Deutschland ist der Einsatz derartiger Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr nicht zulässig. Die Zulassung von Segways beschäftigt den Bund-Länder-Fachausschuss seit etwa fünf Jahren (8). Im August 2006 wurde als Entscheidungshilfe eine Studie der TU Kaiserslautern vorgelegt (1).
Als Testpersonen waren ausschließlich uniformierte Beamte im Einsatz und es gab weniger als eine Stunde effektive Videodokumentation realer Fahrsituationen, ansonsten ging es bei der Erfassung weitestgehend darum, wie die Polizeikräfte mit diesem fahrbaren Untersatz zurecht kamen. Es wurden lediglich die Fahrer/innen und nicht möglicherweise betroffene Fußgänger/innen befragt. Dabei waren zwei Drittel der fortgeschrittenen Testfahrer nicht in der Lage, die für Fahrzeugzulassungen gesetzlich vorgeschriebenen Verzögerungswerte bei Notbremsungen zu erfüllen. Gemessen wurden Anhaltewege von bis zu 4 Meter Länge, Anfänger benötigten bis zu 7,50 Meter. Ein Segway kann übrigens nach Absprung oder Abwurf des Fahrers mindestens zehn Meter weiter rollen, wie ein Eigenunfall eines Testfahrers zeigte. Ungefährlich sind die Segways nach dieser Untersuchung ganz offensichtlich nicht. So werden von 60% der Testpersonen Helme gefordert, sowie von einem Drittel der Testpersonen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 3 bis 4 km/h und „eine Klingel als Gefahrsignal”.
Fußgänger/innen haben sich mehrmals erschreckt, „gelegentlich kam es zu Interaktionen und selten zu Zusammenstößen”. Es gab in der Testzeit, die nicht mit einer konkreten Betriebsstundenangabe beziffert wird, ein Unfall mit Beteiligung eines Fahrrads und sieben Eigen-unfälle. „Interaktionen und Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern kamen gelegentlich vor, nach der Erinnerung der Teilnehmer während des gesamten Pilotzeitraums rund zwanzigmal pro Teilnehmer...”. Trotz der aufgetretenen und nur teilweise erfassten Interaktionen und Konflikte mündet das Forschungsprojekt in folgendem Fazit:
- „Nach der Erfahrung und Einschätzung der Pilotteilnehmer sind die Fahrbahnen von Hauptverkehrsstraßen und Tempo-30-Zonen gar nicht bis bedingt für den Segway geeignet, Radverkehrsflächen, Fuß- und Gehwege, Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche dagegen sehr.” Die Kernaussage:
- „Wir empfehlen die Zulassung des Segway mit Schrittgeschwindigkeit (maximal 7 km/h) auf Gehwegen, in Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen und mit der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf Radverkehrsflächen.”
Leider ist in der Studie, die einige Gefahrensituationen in im Fahrbetrieb dokumentiert, keine überzeugende Grundlage für diese Empfehlung auszumachen. Das Problem, dass eine etwaige Segway-Zulassung ein Präzedenzfall für die allgemeine Zulassung anderer Fahrzeuge auf Gehwegen werden würde, z.B. größere „Scooter” konkurierender Hersteller oder Fahrräder, darf nicht unterschätzt werden.
Darüber erscheint es sehr unrealistisch, die Höchstgeschwindigkeit auf Gehwegen durchzusetzen. Es sind ähnliche Probleme zu erwarten, wie sie schon bei der Mischung von Fahrrad- und Fußgängerverkehr auf schmalen Wegen auftreten. Wenn ein weiterer Konfliktpartner hinzukommt, verschlechtert sich die Ausgangssituation. Da nutzt die (subjektive) Einschätzung der Forscher wenig, das Konfliktpotenzial von Segways sei „unter dem von Fahrrädern oder Inlineskatern anzusiedeln”.
Inzwischen hat etwa die Hälfte der Bundesländer Ausnahmegenehmigungen verabschiedet, die meist ein „langsames” und „rücksichtsvolles” Befahren von Gehwegen und Fußgängerzonen zulassen, darunter Brandenburg, Hamburg, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt.
Bayern ist dabei noch am fußgängerfreundlichsten: Dort dürfen Segways grundsätzlich nur fahren, wo Mofas verkehren dürfen. Mit einer bundeseinheitlichen Regelung wird bis März 2008 gerechnet, nachdem die Mehrheit der Bundesländer eine solche eingefordert hat. Vom Bundesverkehrsministerium ist als Mindestbedingung eine Mofa-Fahrerlaubnis angedacht. Als Verkehrsflächen werden geprüft: 1. Fußgängerwege und –zonen, 2. Fahrradwege und –straßen, 3. Verkehrsberuhigte Bereiche (Zeichen 325 StVO), 4. Fahrbahnen in Tempo-30-Zonen sowie 5. Sonstige innerörtliche Fahrbahnen, soweit keine Sonderwege vorhanden sind.
Räder statt Bleifuß
„Ein Segway verwandelt Füße in Räder und ist das innovativste Fortbewegungskonzept der vergangenen Jahrzehnte“ (9). Die Firma meidet das Wort „Fahrzeug“, das „Gerät“ hat lediglich „statt Muskeln einen Motor.“ Dass sie ganz augenscheinlich darauf setzt, auf Gehwegen zugelassen zu werden, ist selbst in ihrer Werbung erkennbar: „Jeder Segway HT ist so konzipiert, dass er überall funktioniert, wo Menschen gehen.“ (5).
Und wenn böse Skeptiker schon 2002 warnten „auf dem Bürgersteig jedoch...könnte sich der Segway als echter Rentner-Killer erweisen“ (4), so kommen die Senioren als Fußgänger in der Darstellung schlichtweg nicht vor. Senioren sind dagegen die Zielgruppe der Motorisierung und würden doch mit der Benutzung dieses High-tech-Roller häufig überfordert sein. So konnte sich der US-Präsident anlässlich der Feier zum 79. Geburtstag seines Vaters George Bush im Jahre 2003 nur mit einem Sprung vor einem Aufprall retten (10). Der Segway fuhr mit seinem „intelligenten Netzwerk aus Sensoren, mechanischen Komponenten...und Kontrollsystemen“ alleine weiter.
In Kürze
Segways werden laut Potenzialabschätzung in der Studie voraussichtlich zu einer Reduzierung des Fahrradverkehrs und nicht des Kfz-Verkehrs führen. Das kann kein verkehrspolitisches Ziel sein, zumal sich gleichzeitig die Verkehrsbedingungen und die Aufenthaltsqualität insbesondere für Fußgänger und Mobilitätsbehinderte verschlechtern würden. Wenn Segways auf Gehwegen zugelassen oder auch „nur“ toleriert werden, gibt es kaum noch eine verständliche Erklärung dafür, warum das Fahren mit dem Farrad verboten sein sollte. FUSS e.V. schlägt vor, Segways wie Mofas zu klassifizieren und fordert, das Fahren auf Gehflächen weiterhin strikt zu untersagen.
Quellennachweise:
- André Darmochwal, Hartmut H. Topp: Segway in public spaces, Institut für Mobilität & Verkehr der Technischen Universität Kaiserslautern (Hrsg.) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), April 2006
- Marléne Butz: „Segway“ - Ein neues Fahrzeug bedroht die Gehflächen“, in „Fussverkehr“, 2/07, Fussverkehr Schweiz (Hrsg.)
- aus einer Einladung zu den Internationalen Verkehrstagen in Wuppertal im März 2007 mit dem Thema: „Verkehrsinfrastruktur für eine alternde Gesellschaft“.
- Segway verändert Gesetzbücher, Spiegel-Online, 20.1.2003
- www.segway.de > allgemeine Geschäftsbedingungen > Ziffer 8 Zulassung , 1.10.2007, aber Stand Oktober 2005
- world-carfree-news_ger, Ausgabe Nr. 39, Januar 2007
- Reinhold Eder, Geschäftsführer Urban Mobility Germany, Spiegel-Online 2.4.2006
- z.B. Stellungnahme der Straßenverkehrsbehörde Koblenz vom 4.7.2006
- Segway in Bayern: Sondergenehmigung ist erster Schritt in richtige Richtung, André Zeitsch, SegwayTour Munich, PR 13.8.2007
- Segway-Ausflug - Wie Bush vom Roller fiel, Spiegel-Online, 14.6.2003
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk und Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2007, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.
- Neue Mobilitätshilfenverordnung 2009: Stellungnahme des FUSS e.V. an das Bundesverkehrsministerium
- Neue Mobilitätshilfenverordnung 2009: Analyse und Kritik des Verordnungsentwurfes
- Neue Mobilitätshilfenverordnung 2009: Abschließende Einschätzung der Verordnung aus Fußverkehrssicht
- Bußgeldkatalog-Novelle 2009: Stellungnahme des FUSS e.V. an das Bundesverkehrsministerium