StVO-Novelle vom 1.9.2009 aus dem letzten Jahrhundert

Abbildung: www.pixelio.de, Montage: FUSS e.V.Nun können also die Bundesregierung und die Länder Vollzug melden: Was im letzten Jahrhundert entwickelt wurde und vor annähernd neun Jahren zum Aufschrei und unerwarteten Widerstand führte, konnte mit ein paar Abstrichen und Veränderungen umgesetzt werden. Eine zeitgemäße Straßenverkehrs-Ordnung und Verwaltungsvorschrift hat Deutschland damit nicht. Aber die lange erwartete zweite „Fahrradnovelle“ erfreut hoffentlich den ADFC und die unveränderte Hauptaussage „Abbau des Schilderwaldes“ wohl eher den ADAC. Die Novellierung war in der Koalitionsvereinba-rung der Rot-Grünen Bundesregierung 1998 damit begründet worden, den Schutz der Fußgänger und Radfahrer verbessern zu wollen. Seitdem hat der FUSS e.V. durch seine intensive Lobbyarbeit einige geplante Verschlechterungen verhindern, aber leider nur wenige und kaum grundsätzliche Verbesserungen für den Fußverkehr erreichen können.

Erster Novellierungsversuch 2001 durch Widerstand gescheitert

Im Januar 2001 erhielten zehn relevante Verkehrsverbände in Deutschland Post aus Bonn. Das Bun-desministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBW bat um eine Stellungnahme inner-halb weniger Wochen zu einem dicken Ordner mit vorgesehenen Änderungen der Straßenverkehrs-Ordnung StVO und deren Verwaltungsvorschriften VwV. Um nicht allzu viel Kritik aufkommen zu las-sen, wurde der Text damit eingeleitet, dass er als Vorlage nach jahrelanger Bearbeitung vom Bund-Länder-Fachausschuss BLFA-StVO bereits zwischen BMVBW und den obersten Straßenverkehrsbe-hörden der Länder abgestimmt sei und nach einer Anhörung umgesetzt werden solle.

Der harmlose Titel der StVO-Novellierung: „Weniger Verkehrszeichen - bessere Beschilderung“ ver-schleierte, dass die damalige Rot-Grüne Bundesregierung damit einen verkehrspolitischen Rück-wärtsgang eingeleitet hätte. Drei Hauptanliegen: Weniger Verkehrsberuhigung, Abbau von etwai-gen Behinderungen des Autoverkehrs durch den öffentlichen Personennahverkehr ÖPNV und Ein-schränkung der Anordnung geringerer zulässiger Höchstgeschwindigkeiten sowie Vereinfachung der Zulassung höherer Geschwindigkeiten im motorisierten Individualverkehr MIV. Die Novellierung las sich nicht nur wie eine Wunschliste des ADAC, sie war auch die Fortsetzung der bundesweiten ADAC-Kampagne zum Abbau von für den Autoverkehr hinderlichen Verkehrszeichen (vgl. IDV 67, Juni 2001: Verkehrsberuhigung: Bundesregierung am Scheideweg).

Der Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V. nutzte die wenigen Wochen für eine öffentliche Kampagne, um zuerst einmal auch die anderen Verbände auf die Brisanz der geplanten Novelle aufmerksam zu machen. Er gab eine umfassende Stellungnahme beim Bundesverkehrsministerium ab, bat alle Bundesländer und den Bund-Länder-Fachausschuss eindringlich darum, nicht die An-zahl der Verkehrszeichen, sondern die Verkehrssicherheit in den Mittelpunkt zu stellen, veröffent-lichte die Broschüre „Mehr Verkehrssicherheit – weniger Verkehrszeichen“ in Umkehrung des BMVBW-Mottos, stellte Interessierten für den Widerstand einen Musterbrief zur Verfügung und nutzte den 13. Bundesweiten Verkehrs- und Umweltkongress im April 2001 in Leipzig für eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Es folgte eine Korrespondenz mit den Verkehrsministern der Länder und Gespräche mit Mitgliedern und den Vorsitzenden des Bund-Länder-Fachausschusses. Es zeigte sich, dass die Länder durchaus nicht geschlossen hinter dem Wortlaut standen und nachdenklich reagierten. Die vom Ministerium angekündigte Anhörung fand nie statt, etwa ab Ende 2003 war nicht mehr so recht zu erfahren, was denn nun aus der geplanten Novelle geworden ist.

Zweiter Novellierungsversuch 2008 neu verpackt

Ende März 2008 traf wiederum ein Novellierungspaket bei den Verbänden ein mit der Bitte um Stel-lungnahme im Zeitraum von 14 Tagen. Das Bundesministerium verzichtete auf die Hervorhebung des umstrittenen Mottos. Das Papier kam nunmehr aus Berlin und die Adressaten mussten es sich selbst ausdrucken. Es war gleichermaßen umfangreich und verkehrspolitisch höchst brisant. An er-ster Stelle der Zielvorgaben stand wiederum die Reduzierung der Verkehrszeichen. Obwohl die Er-höhung der Verkehrssicherheit nicht das Leitthema war, nannte das BMVBS als zweite und dritte Zielvorgabe die „Steigerung der Attraktivität des Radverkehrs und der Lebensqualität in Innenstäd-ten“. Aus der „Verkehrszeichen-Novelle“ wurde eine „Verkehrszeichen- und Fahrrad-Novelle“; die Begrifflichkeit „Lebensqualität in Innenstädten“ war in der Vorlage aber nicht zu orten, die Situation der Fußgänger wurde weder erwähnt noch verbessert.

Während allerorts über „Shared-Space“ diskutiert und in anderen europäischen Staaten die „Begeg-nungszone“ eingeführt wird, sah die Vorlage in Deutschland eine Einschränkung der Verkehrsberu-higung vor. FUSS e.V. gab wiederum eine umfassende Stellungnahme ab und schrieb an alle Län-derministerien, die Verkehrsberuhigung endlich in die Klimapolitik einzubinden und sich für eine Ausweitung des Instrumentariums in den Städten einzusetzen (vgl. mobilogisch! 2/08: Weniger Ver-kehrszeichen - zweiter Versuch).

2009: StVO-Novellierung in Kraft gesetzt

Der Verband erhielt nüchterne und auch wohlwollende Reaktionen und erfuhr dann über die Presse, dass eine erneut überarbeitete Novellierungsvorlage am 1. September 2009 in Kraft treten werde. Zentrales Ziel dieser ist der „Abbau des Schilderwaldes“. Zusätzlich soll mit der Änderungsverord-nung „ein weiterer Beitrag zur Sicherheit des Fahrradverkehrs geleistet“ werden. Als dritte Kernaus-sage - man führt es jetzt nicht mehr unter der Bezeichnung „Verbesserung der Lebensqualität“ - gibt es nun „für die Nutzung von Inline-Skates… (eine) eindeutige rechtliche Grundlage“, sie werden erst einmal grundsätzlich auf die Gehwege verwiesen.

Da die Auswirkungen auf den Radverkehr bereits an anderer Stelle dargestellt wurden (vgl. mobilo-gisch! 3/09: Neue Planungsgrundlagen ab Herbst 2009), soll in dieser Darstellung der Fokus mehr auf den Fußverkehr gelegt und die geltende Novelle reflektierend dargestellt werden. Man kann zwar nach derart vielen Jahren Lobbyarbeit durchaus darüber streiten, ob die erreichte Änderung eines einzigen Wortes den Aufwand lohnte. Jetzt steht z.B. in § 40 zu allen Gefahrzeichen, dass die-se nicht zur „Anpassung“, sondern „insbesondere zur Verringerung der Geschwindigkeit in Hinblick auf eine Gefahrsituation“ führen sollen. Die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit „darf“ nicht nur, sondern „soll“ nun aufgrund von Unfalluntersuchungen angeordnet werden, kann sich aber auch bei Beobachtung „häufig gefährliche(r) Verkehrssituationen“ ergeben. Womöglich kleine Erfolge der „Wühlarbeit“.    

Mehr Zeichen als vorher

Der sogenannte „Abbau des Schilderwaldes“ ist gekennzeichnet durch die Herausnahme von 13 Verkehrszeichen aus der StVO, deren Ersatz durch verwendbare Sinnbilder oder sogenannte Zusatz-zeichen in 12 Fällen und durch die Neuaufnahme von immerhin 32 Verkehrszeichen und Zusatzzei-chen. Man kann nur staunen, dass man für diese Prozedur von der ersten Absichtserklärung in der sogenannten Höcherl-Kommission im September 1982 siebenundzwanzig Jahre benötigt hat. Noch erstaunlicher ist es, dass dieses merkwürdige Manöver der Schwarz-Roten Bundesregierung in kei-ner uns bekannten Medienveröffentlichung hinterfragt wurde.

So gibt es z.B. das Gefahrzeichen 134 „Fußgängerüberweg“ in § 40 nicht mehr, dafür ist das Symbol in § 39 als eines der in das Gefahrzeichen einzusetzenden Sinnbilder wieder eingeführt worden. Al-lerdings fehlt nun in der Verwaltungsvorschrift eine Angabe zu den Einsatzgebieten. Das Zusatzzei-chen „für Inline-Skaten und Rollschuhfahren frei“ wurde nicht in die Verkehrszeichen-Sammlung auf-genommen, sondern in §31 Sport und Spiel untergebracht, obwohl es als einziges „Zusatzzeichen“ „auch allein angeordnet sein“ kann, eine Kuriosität. Die Erweiterung der Verkehrszeichen nach StVO berührt nur ein einziges Mal positiv den Fußverkehr durch das neue Zeichen 626 „Leitplatte“. Diese war aber bereits vorher zahlreich im Einsatz, z.B. um das Parken an den Querungsstellen in Kreu-zungen und Einmündungen zu verhindern.

Die vom FUSS e.V. vorgeschlagene kostenneutrale Umbenennung der Bezeichnung „Fußgänger“ in „Fußverkehr“ erfolgte nur bei der textlichen Neuaufnahme der Inline-Skates im Entwurf 2008 und wurde 2009 wieder in „Fußgängerverkehr“ umgewandelt, wobei der „Gänger“ gerade beim Inline-Skate eher kurios wirkt. Man musste sich in der nach außen so dargestellten „Fahrradnovelle“ offen-sichtlich darauf konzentrieren, die „Radfahrer“ durch „Radverkehr“ zu ersetzen, was auch nicht durchgängig gelang. Gut, dass man zumindest daran gedacht hat, das im 21. Jahrhundert zeitge-mäße Sinnbild „Gespannfuhrwerke“ ganz neu in die StVO einzuführen.

Fahrgeschwindigkeit auf Gehwegen aufgeweicht

Ist die „Schrittgeschwindigkeit“ passe, nachdem sich nun auch Radfahrer/innen beklagen, dass sie diese nicht fahren können? (Der Verfasser gehört noch zum Altbestand, der durchaus dazu in der Lage ist, 5-6 km/h mit dem Fahrrad zu fahren ohne umzukippen.) Es scheint so: Auf Gehwegen, Gemeinsamen oder Getrennten Geh- und Radwegen und in Fußgängerbereichen (Zonen mit Zei-chen 242.1) müssen alle Fahrenden ihre „Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen“. Was das konkret heißt, wird wohl erst die Rechtsprechung nach Konfliktfällen ergeben. Wenn Fuß-gänger, was sie mitunter tun, etwa 4 km/h laufen, müssen Radfahrer/innen und Kraftwagen nicht auch 4 km/h einhalten, sie müssen sich halt nur „anpassen“. Man ahnt, dass diese Veränderung nichts Gutes bedeuten könnte. Andererseits scheint es nur so, dass Schrittgeschwindigkeit nicht ge-fahren werden kann, denn in verkehrsberuhigten Bereichen nach Zeichen 325.1+2 ist diese Ge-schwindigkeit weiterhin einzuhalten. So gibt es also zukünftig in Bereichen mit Mischverkehr eine klarere Geschwindigkeitsvorgabe als auf eindeutigen Gehwegen. 

Inline-Skates sind Gänger

Die Zuordnung von „Inline-Skates“ und „Rollschuhen“ als „Fußgängerverkehr“ kam erst mit dem zweiten Entwurf 2008 hinzu, muss aber als für beide Verkehrsteilnehmer schlechteste Lösung be-zeichnet werden (vgl. mobilogisch! 2/08, S.11). Immerhin wurde der Zusatz „und ähnliche nicht mo-torbetriebene Fortbewegungsmittel“ neu eingesetzt, so dass mit Ausnahme motorbetriebener Roll-stühle (§24, Abs.2) für Kraftfahrzeuge wie z.B. „Segways“ noch einmal ausdrücklich nicht die Vor-schriften für den Fußgängerverkehr anzuwenden sind. Hier waren Niederlage und Erfolg der jahre-langen Lobbyarbeit des FUSS e.V. sehr dicht beieinander (vgl. mobilogisch! 4/08: Segways: Nun doch eine Rechtsverordnung). Immerhin kann Inline-Skaten nun endgültig durch Zusatzzeichen auch auf Fahrstreifen angeordnet werden, sodass man bei einer Gefährdung der Fußgänger zumindest eine Argumentationsmöglichkeit gegenüber den Kommunen hat.

Fuß- und Rad weniger gemeinsam

Die bis zum 31.8.2009 geltenden Verwaltungsvorschriften gestatteten die Freigabe des Gehweges mit Zeichen 239 und Zusatzschild „Radfahrer frei“ sowie die Anordnung Gemeinsamer Radwege(Z 240), „wenn dies … unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger, insbesondere der älteren Verkehrsteilnehmer und … Kinder…, im Hinblick auf die Verkehrssicherheit vertretbar erscheint“. Diese Vorgaben sollten eigentlich nach dem Entwurf aus dem Jahre 2001 entfallen, Fußgänger hät-ten demzufolge schon „unvertretbar beeinträchtigt“ werden müssen.

Möglicherweise hat der Einspruch des FUSS e.V. auch eine Rolle gespielt, vermutlich aber hat sich der Standpunkt des Fahrkomforts aus Radfahrersicht stärker ausgewirkt. Weggefallen sind dennoch in der VwV zu Zeichen 239 die Verweise auf Alte und Kinder, aber auch – besonders gravierend – die rechtliche Priorität der Fußverkehrsbelange bei der Beurteilung von etwaigen Gehwegfreigaben („Den Belangen der Fußgänger kommt dabei ein besonderes Gewicht zu“). Auf jeden Fall kommen derartige Regelungen auch zukünftig „nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger vertretbar und mit der Sicherheit und Leichtigkeit des Radverkehrs vereinbar ist“.
Immerhin wurde auch beim Getrennten Rad- und Gehweg Zeichen 241 zum ersten in der VwV eine Klausel eingeführt, die die Anordnung dieses Zeichens davon abhängig macht, dass „die Belange der Fußgänger ausreichend berücksichtigt sind und die Zuordnung der Verkehrsflächen zweifelsfrei erfolgen kann.“

In der VwV zu § 2 Straßenbenutzung durch Fahrzeuge wurde darüber hinaus erstmals festgelegt, dass Benutzungspflichtige Radwege … nur angeordnet werden (dürfen), wenn ausreichend Flächen für den Fußverkehr zur Verfügung stehen.“ Im Gegensatz zu den entsprechenden neuen Aussagen über den Radverkehr fehlt hier ein juristischer Hinweis, dass „ausreichende Flächen“ in den Empfeh-lungen für Fußverkehrsanlagen EFA02 bzw. den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt06 definiert sind.  

Parken auf Gehwegen eingeschränkt

Widerspruch rief 2001 beim FUSS e.V. hervor, dass die Regelung des Parkens auf Gehwegen unver-mindert beibehalten werden sollte (VwV zu Nummer 7 Parkflächenmarkierungen vor Zeichen 299, Ziffer II, neu: VwV Zu Zeichen 315 Parken auf Gehwegen, Nummer 1.). Hier kann ein klein wenig Umdenken registriert werden: Bisher war „genügend“ Platz notwendig, jetzt muss es „genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Roll-stuhlfahrern auch im Begegnungsfall“ geben. Konsequent wäre sicher gewesen, auch hier auf die geltenden Richtlinien zu verweisen.

Halten und Parken an Querungsstellen erleichtert

Auf dem ersten Blick ist verwirrend, dass die wesentlichen Einschränkungen des Haltens „auf Fuß-gängerüberwegen sowie bis zu 5 m davor“, „bis zu 10 m vor Lichtzeichen“ und das Parken “bis zu je 15 m vor und hinter Haltestellenschilder“ aus § 12 „Halten und Parken“ verschwunden sind. Durch eine nie zuvor zur Diskussion gestellte Änderung ist das Halten „10 m vor einem Lichtzeichen“ nur noch verboten, „wenn es dadurch verdeckt wird“ (jetzt in § 37). Damit gilt für Personenkraftwagen in der Regel nur noch das Parkverbot „5 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten“ entfernt.
Das ist eine gravierende Verschlechterung, die an der Verbändekritik vorbeigemogelt wurde: Ist der „Blickkontakt“ Kraftfahrer-Lichtzeichen ermöglicht, kann man bis direkt vor einer Lichtzeichenanlage nur mal schnell jemand aussteigen lassen und damit die Sicht kleinerer Menschen oder Rollstuhl-fahrer behindern.

Man kann fast erleichtert sein, dass die Regelungen an Fußgängerüberwegen und Haltestellen bei-behalten, auch wenn sie nun zu den „Hinweisen“ zu den Verkehrszeichen 293 (ZebrastreifenMar-kierung) und 224 (H) verschoben wurden (jetzt Anlage 1 zu §40 Abs. 6 und 7).
Darüber hinaus ist in der Verwaltungsvorschrift zu § 12 der Handlungshinweis ersatzlos entfallen, dass es zur „Unterstreichung“ des Parkverbots und zur Verbesserung der Sichtverhältnisse in der 5-Meter-Zone ratsam sein kann, diese durch die Grenzmarkierung Zeichen 299 (Zickzacklinie) zu kennzeichnen. Die Markierung für eine Verlängerung der 5-Meter-Zone wurde allerdings beibehal-ten und im Sinne des Vorschlages des FUSS e.V. 2001 auf Stellen erweitert, „wo ein Haltverbot an für die Verkehrssicherheit bedeutsamen Stellen verlängert werden muss, z.B. an Fußgängerüberwe-gen“. Verwirrend ist dabei, dass die „amtliche“ Abbildung in der StVO suggeriert, dass es sich ledig-lich um ein markiertes Haltverbot an einer ÖPNV-Haltestelle handelt. 

Queren: sichern statt verhindern

Im schwer zugänglichen Geäst der StVO und VwV befand sich vor der Novellierung noch ein Requisit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts versteckt (VwV zu Zeichen 206 und 207, Ziffer II, Nummer 4, Buchstabe c): „Fußgängerquerverkehr über eine Vorfahrtstraße an der Kreuzung oder Einmün-dung mit abknickender Vorfahrt ist durch Stangen- oder Kettengeländer zu unterbinden.“ Die Vorla-ge 2001 sah verschärfend vor, den zweiten Satz, dass „in einiger Entfernung“ eine Ampel infrage käme, ersatzlos zu streichen. Dies musste zum Protest des FUSS e.V. führen, der nun dankenswer-terweise berücksichtigt wurde: „Treten im Bereich von Kreuzungen oder Einmündungen mit abknik-kender Vorfahrt Konflikte mit dem Fußgängerverkehr auf, ist zum Schutz der Fußgänger das Über-queren der Fahrbahn durch geeignete Maßnahmen zu sichern…“. 

Spielen auf der Straße verboten

Das bereits 2001 vorgesehene generelle Verbot von Sport und Spiel „auf der Fahrbahn, den Seiten-streifen und auf Radwegen“ war nicht zu verhindern. Es gilt unabhängig davon, ob in der Straße fast kein Fahrverkehr oder durch Zeichen 250 sogar ausgeschlossen ist. Erreicht wurde auch hier das übliche „Zusatzzeichen-Spiel“, wobei allerdings die zugelassene Sport- oder Spielart genau gekenn-zeichnet sein muss. Eine Regelung, die wohl kaum Anwendung finden wird, denn welche Kommune wird unter z.B. das Gefahrzeichen 101 mehrere Zusatzzeichen für diverse Freizeitbeschäftigungen von Kindern anbringen? Thema: Abbau des Schilderwaldes. Ein eindeutiges Signal sich für die Ein-richtung von verkehrsberuhigten Bereichen einzusetzen.

Verkehrsberuhigung in Maßen

Die Reduzierung der Einsatzkriterien der in Europa fortschrittlichen Regelung „Verkehrsberuhigter Bereich“ (Zeichen 325) war beim ersten Novellierungsversuch 2001 eines der nicht öffentlich ge-machten Hauptziele des Bundesverkehrsministeriums.
Die historische Kernaussage, dass für Verkehrsberuhigte Bereiche „- neben der damit angestrebten Erhöhung der Verkehrssicherheit – Gesichtspunkte des Städtebaus, insbesondere des Wohnumfel-des durch Umgestaltung des Straßenraumes“ „maßgebend“ sind, wurde nunmehr tatsächlich er-satzlos gestrichen. Dagegen sind die 2001 geplante Einschränkung auf „Straßenabschnitte oder ein-zelne Straßen“ und der Zusatz „keinesfalls… für eine flächenhafte Verkehrsberuhigung“ möglicher-weise aufgrund des Widerstandes nicht umgesetzt worden, sodass die Regelung weiterhin „für ein-zelne Straßen oder für Bereiche“ infrage kommt.

„Bereiche“ (bisher: „für alle Straßen eines abgegrenzten Gebietes“) kommen allerdings nur noch bei „sehr geringem Verkehr in Betracht“. Bei Straßen ist durch die Gestaltung der „Eindruck zu vermitteln, dass die Aufenthaltsfunktion überwiegt und der Fahrzeugverkehr eine untergeordnete Bedeutung hat.“ Damit dürften bewährte Maßnahmen mit Integration von Straßenabschnitten zu sichern sein, die durchaus ein Verkehrsaufkommen haben. 
Mit der verpflichtenden „Vorsorge für den ruhenden Verkehr“ anstatt der bisherigen „angemessenen Berücksichtigung“ wurde allerdings eine zusätzliche Einrichtungshürde aufgebaut.

Verhindert werden konnte die „Vorhaltung einer ausreichend breiten Fahrgasse für die dort notwen-digen Fahrzeugarten“, die das Regelwerk zu einer Farce hätte werden lassen.

Verkehrssicherheit vor Flüssigkeit des Verkehrs

Erreicht haben wir durch unsere unermüdlichen Einwendungen und Schreiben immerhin, dass in der Verwaltungsvorschrift dem Satz „Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehen-den Mitteln zu erhalten“ ein zweiter Satz hinzugefügt wurde: „Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor.“ Weil wir annehmen, dass alle mobilogisch!-Leser/innen diesen Satz immer wieder zitieren möchten - er steht keineswegs an zentraler Stelle - hier die Quelle: Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) zu §§ 39 bis 43 All-gemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen Ziffer I., Nummer 2. (Randnummer 4). 

Fazit

Leider im Detail der immer noch nutzerunfreundlichen StVO und der Verwaltungsvorschriften für die Umsetzung von Maßnahmen insgesamt: Mehr Rückschritt statt Fortschritt für den Fußverkehr. Ein Signal dafür, dass der FUSS e.V. als Lobby von allen gestärkt werden sollte, die eine sichere, umwelt- und sozialverträglichere Mobilität anstreben, damit der Fußverkehr im Zusammenspiel des Umwelt-verbundes seinen Stellenwert halten kann. Der Verband kann über das Ergebnis nicht glücklich sein. Dennoch hat sich der jahrelange Einsatz gelohnt, denn geplant war eine ganze Reihe weiterer Ver-schlechterungen.

In Kürze

Unter dem Deckmantel, den Schilderwald zu lichten und der weitgehend gelungenen Absicht, den Fahrradverkehr zu fördern, wurde von der Öffentlichkeit unbemerkt der Fußverkehr mit weiteren Änderungen teilweise noch stärker gefährdet. Immerhin konnte ein Teil der 2001 geplanten Verschär-fungen der Einsatzkriterien für „Verkehrsberuhigte Bereiche“ verhindert werden.

Mitarbeit:

Die neue StVO+VwV ist in Kraft und kurzfristig kaum änderbar, deshalb bitten wir, uns Fälle zu nennen, wo Verkehrsberuhigte Bereiche aufgrund der neuen Regelungen zurückgebaut werden sollen. Benutzen Sie dazu bitte unsere Kontakt-Seite .

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2009, erschienen. 

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